Die Sektion Ästhetik versteht sich als eine außeruniversitäre philosophische Gruppierung, die jährlich zehn bis zwölf Vorträge bzw. kleine Kolloquien veranstaltet, wobei fast immer einheimische Sprecher zu Wort kommen. Der Titel Ästhetik meint eine programmatische Nähe zur Wahrnehmung – etwa im Sinn „der Treue zur formellen Hülle des Symptoms“, von der Lacan spricht. Mit Ästhetik ist also weniger ein Bezug auf Kunst und Kunsttheorie intendiert als vielmehr eine Sorge um die Erscheinungen – inmitten des modischen Geredes von Immaterialität, Verschwinden und so weiter. Das Motto der Sektion Ästhetik könnte der aus der Antike überlieferte Infinitivsatz die Erscheinungen retten sein.
Zweifellos war Lacan unter allen klassischen Autoren der Psychoanalyse der „philosophischste“. Er hat sich von früh an intensiv mit wichtigen Positionen der Philosophie vertraut gemacht und auseinandergesetzt. Mit seiner Methode der „verkettenden Lektüre“ – Freud mit Saussure, Kant mit Sade – hat er eine produktive Interdisziplinarität entwickelt, die ihn zu eigenständigen philosophischen Positionierungen geführt hat. So hat er sich mit dem erstmals 1936 in Berlin vorgetragenen Spiegelstadium “unbewußt” in die um dieselbe Zeit von Scheler, Plessner und Gehlen formulierte Problemstellung der Philosophischen Anthropologie eingerückt, die auch Ergebnisse der Naturwissenschaften für die Frage nach dem Wesen des Menschen fruchtbar macht. Mit seiner Unterscheidung der drei Register des Imaginären, des Symbolischen, des Realen hat Lacan eine Medien-Anthropologie entworfen, die das Mediale doch nicht verabsolutiert. Mit seinem ausdrücklichen Rekurs auf die antiken paraphilosophischen Disziplinen der Dialektik, Grammatik, Topik, Rhetorik und Poetik gehört Lacan zu denjenigen modernen Philosophen, die eine „unheimliche“ um 1800 eingetretene zur Moderne führende Mutation überhaupt erst wahrnehmbar und vielleicht distanzierbar gemacht haben: die Ersetzung der Rhetorik durch die Hermeneutik – als Paradigma des Bildungswesens.
Deswegen ist die Ausrichtung der Sektion Ästhetik keineswegs eine rein „theoretische“. In Anknüpfung an Lacans klinische Unterscheidung unterschiedlicher und unterschiedlich wünschbarer menschlicher Subjektschaltungen (Daseinsstellungen) strebt sie die Erhellung von anderen und anders wünschbaren Lebensformen und Lebenskünsten außerhalb der Klinik an. Sie folgt damit der pragmatischen Wissenschaftsklassifikation, die Aristoteles ausgerechnet in der sogenannten Metaphysik dargelegt hat, wonach es neben den theoretischen noch die poietischen und die praktischen Wissenschaften gibt. In den letzteren geht es um die Erhellung von Können, die sich auf Tätigkeiten beziehen, welche man ausüben will bzw. soll.
Die seit dem Herbst 1989 laufende Vortragsreihe der Sektion Ästhetik heißt Sektion Ästhetik.